Weltschmerz und Kinderwunsch – wie passt das zusammen?

Zwischen Weltschmerz und Kinder kriegen ein Blogbeitrag für Eltern von Eltern von Anna und Oskar GmbH

von Tami Donath.

 

Immer wieder ploppt diese eine Frage wie eine Fehlermeldung in meinem Kopf auf: „Ist es heutzutage noch legitim, Kinder in diese von Krisen geschüttelte Welt zu setzen?” Und: „Schaffe ich das und will ich überhaupt diese riesige Verantwortung?” Gedanken, die mich unter der Dusche übermannen. Ich weine und halte mein glühend heißes Gesicht unter das Wasser. Ich bin schwanger. Geplant. Gewünscht. Was habe ich nur getan? Was passiert hier gerade in meiner so schönen heilen Welt?   

Die Angst vor Fehlern

Fall es eine postnatale Depression noch drei Jahre nach der Geburt geben kann, hatte ich sie vermutlich. Oder was denkst du, wenn du die Zeilen da oben liest? Neun Monate haben wir „geübt“ und als ich endlich den zweiten Strich auf dem Stäbchen gesehen habe, schrieb ich alles auf. All die Ängste und Zweifel aus meinem Kopf auf Papier. Hatte es deswegen so lange gedauert und nicht, wie bei unserem ersten Kind, sofort geklappt? Soll es vielleicht gar nicht sein?

Heute weiß ich, dass meine Hormone mich zu dem Zeitpunkt schon etwas unter Kontrolle hatten und sich eine leichte Schwangerschaftsdepression bemerkbar machte, die ich Gott sei Dank mit der Hilfe meiner Frauenärztin in den Griff bekam. Depressive Züge, die ich schon immer hatte, aber meist gut reflektieren kann. Doch auch heute frage ich mich manchmal, ob es egoistisch ist ein Kind in diese Welt zu setzen. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts. Weder wie nächste Woche wird noch was in 10 Jahren sein wird. Das ist eines der guten Dinge, die mir Corona mitgegeben hat: nichts ist planbar und deshalb muss ich mich auch jetzt nicht verrückt machen.

Aber egal ob ich mit Freunden spreche oder durch meinen Instafeed scrolle: Klimakrise, AfD, Gesellschaftsspaltung und natürlich über allem diese fu* Pandemie. Die Welt geht vor die Hunde. Ich hab keinen Plan, keine Lösung und kriege noch ein Kind. Das geht doch nicht. Ich frage mich, wie Frauen damals damit umgegangen sind und ob sie sich die Frage: „Kinder, ja oder nein?” überhaupt gestellt haben? 

Regretting Motherhood – Mama-Sein und Kinder haben bereuen?

Beim ersten Kind klappte das mit dem schwanger werden überraschend schnell – nicht ganz geplant, aber auch nicht ganz verhindert. Und es gab und gibt immer wieder Tage, an denen ich meine Entscheidung für ein Kind bereue – auch wenn ich sie wohl eher unbewusst gefällt habe. Nicht wegen dem Kind. Ich liebe mein Kind und das Zweite werde ich genauso lieben. Aber eben wegen dem, was mal war. Ich mag Struktur und die ist mit Kleinkindern dann doch recht selten vorhanden. Dann wollte ich mir und den anderen doch auch irgendwie beweisen, dass ein Kind nichts an meinem Leben änderte, ich immer noch die Alte bin – totaler Bullshit. Ein Kind verändert einfach alles. 

Und dann, gerade frisch schwanger mit meinem zweiten Baby, finde ich einen englischen Instagram Account, der „Stop Breeding” und #childfreelife fast schon propagiert und verliere mich in den Kommentaren. 

„Wenn ich allein schon im Supermarkt Kindergeschrei höre, könnte ich ausrasten. Deswegen gehe ich nur abends einkaufen.”

„Weißt du, was ich am meisten liebe? Die Ruhe in meinem Haus.”

„Ich hasse Kinder. Seit ich 12 bin, da wird sich auch niemals was dran ändern.”

„Kinder kriegen ist egoistisch. Denkt denn niemand daran, in was für einer Welt sie leben müssen, wenn schon bei uns Hochwasser, Waldbrände und Tsunamis die Welt vernichten?”

Regretting Motherhood und Kinder kriegen

Ich habe einen riesigen Kloß im Hals. Viele der Kommentare kann ich gut nachvollziehen. Mir ging es entweder mal ähnlich, manchmal habe ich sogar heute noch solche Gedanken und die Kommentare triggern in mir den Wunsch nach meinem alten Ich, meinem Ich-vor-Kind. Ich will auch ein ruhiges Haus haben. Ein Leben ohne Generve und Abholzeiten. Und ganz ehrlich: als ich 2018 das erste Mal Mama wurde, hab ich dem geglaubt was alle sagen: "...am Anfang schlafen die viel, du wirst dein Baby über alles lieben, Kinder zu haben ist das allerschönste..." 

Es ist nicht das Allerschönste. Diese ersten Monate, das erste Jahr, haben  mir alles abverlangt. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, was es heißt ein Kind zu bekommen. War mir weder der Verantwortung noch dem Thema Care-Arbeit bewusst. Ich sah nur die vielen Mütter um mich rum, die das alles ja auch irgendwie gewuppt bekommen haben. So schwer konnte das also nicht sein. Und doch bereute ich es während dem ersten Lebensjahr meiner Tochter regelmäßig, Mama geworden zu sein. Sowas darfst du ja kaum aussprechen, weil es gleich gesetzt wird mit „Ich will mein Kind nicht.” So einfach ist das aber nicht. Ich liebe mein Kind. Und trotzdem vermisse ich mich. Mein Ich-vor-Kind. Auch heute immer wieder noch. Und das ist okay. Kinder haben ist crazy. Ich meine, wie soll man jemanden das Leben beibringen, wenn man selbst gar keinen Plan davon hat? 

„Sie geben einem ja soviel zurück“

Drei Jahre ist sie jetzt alt, meine wunderschöne, selbstbewusste Tochter. Ich liebe sie so sehr. Und ich weiß jetzt: alles wird gut. Es ist wirklich alles eine Phase! Und so kitschig es klingt: ohne Schatten kein Licht. Es ist völlig okay, mal alles scheiße zu finden. 

Und wenn meine Tochter mich fragt, warum ich sie in eine kaputte Welt geboren habe, dann sage ich: „Ich weiß nicht. Vielleicht aus Hoffnung. Vielleicht im Vertrauen darauf, dass Du in dieser Welt Großes bewirken kannst. Vielleicht weil ich einfach wissen wollte, wie es ist ein Kind zu haben. Vielleicht weil ich diese ganze besondere Form von Liebe kennenlernen wollte.” Es tut mir leid. Ich habe mich nicht genug informiert. Ich wusste so vieles nicht. Ich bin einfach gesprungen. Aber es tut mir auch nicht leid.

Denn ich will ich es nie mehr anders. Nicht wegen dem Kinderlachen, wodurch man angeblich all die Anstrengung vergisst. Nein, durch Kinder bekommt man neben warmen Füßchen im Bett und herzzerreißenden Liebeserklärungen noch etwas Anderes, Unbezahlbares: den unausweichlichen Arschtritt raus aus der Komfortzone. Es dreht sich nicht mehr alles um dich. Um deine Hobbies, deine Figur, deine Dramen und deine nächste amazon Bestellung. Es geht jetzt um mehr. Das Leben bekommt Tiefe, echte Tiefe. Ich habe zu mir selbst gefunden. Denn mit Kind kommt Verantwortung und damit kommt Entwicklung, kommt Veränderung. Ich sehe die letzten Jahre und bin so dankbar für all die Veränderungen – so hart sie auch waren. Weil ich mit jedem Jahr mehr zu mir selbst finde. Mein Ich-vor-Kind würde vor Neid erblassen. 

Worum geht es denn beim Kinder kriegen eigentlich?

Es geht nicht um Haben oder Sein. Nicht um Geld oder Status. Nicht um perfekt aufgeräumte Kinderzimmer oder Montessori-Spielzeug. Es geht am Ende immer um Beziehungen. Ich wünsche mir für meine Tochter ein Geschwisterchen und stelle mir vor, wie die zwei geheimen Pläne schmieden und sich über uns Eltern auskotzen. Ich weiß, dass sie nie allein sein werden, wenn wir mal nicht mehr da sind. Dass sie unsere Liebe und unsere Werte spüren und aus ihnen selbstbewusste und einflussnehmende Erwachsene werden. Erwachsene, die Nöte erkennen und anderen Menschen helfen, um diese Welt vielleicht auch nur ein bisschen besser zu machen.

Und natürlich wünsche ich mir auch einfach Sonntage, an denen alle unangekündigt vorbeikommen, die Schuhe in den Flur pfeffern und die Schnuckschränke plündern. Und wir quatschen über Gott und die Welt, während die Enkelkinder auf dem Boden Staubfussel bewundern.

Alles wird gut.

4 Kommentare

  • Antonia am

    Ein bisschen Pipi in den Augen ;)

  • Katharina am

    Danke, für so viel Ehrlichkeit. Du triffst den Nagel auf den Kopf. Ich hab mich in so vielen Sätzen wieder gefunden. Genauso war für mich auch das erste Jahr mit Kind, das auch 2018 geboren wurde.
    Alles Liebe für dich deine Familie und das zweite Wunder des Lebens.

  • Mirjam am

    Du sprichst mir aus der Seele. Ich war insgesamt 5x schwanger und habe zwei lebende Regenbogenmädels an der Hand und manchmal wünsche ich mir doch das Leben “vor den Kids” für eine kurze Weile zurück.

  • Theresa am

    Oh Tami, dieser Text spricht mir so so so aus der Seele, ich habe gegrinst und hatte Tränen in den Augen beim lesen!!!!!
    Danke für diese tollen tollen Worte!!!!
    Ich wünsche dir alles alles Gute und eine wunderbare Geburt und alles Liebe für dich und deine bald 4 Köpfige Familie ♥️

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